Kampf gegen Gebühren wird beinhart
Zum Sommersemester 2007 führten die unionsgeführten Bundesländer allgemeine Studiengebühren ein. Sie liegen derzeit um die 500 Euro. Eine spätere, auch drastische, Erhöhung ist nicht ausgeschlossen. Studentenaktivisten in den betroffenen Ländern organisierten Boykottkampagnen, die allerdings fast nirgends die vorher festgelegte Mindestbeteiligung erreichten. An der Universität Hamburg wurden jetzt mehr als 1.100 Studenten zwangsexmatrikuliert, weil sie die Zahlung verweigert hatten.
Die Uni-Präsidentin Monika Auwetter-Kurz hatte zuvor fast 2.000 Studenten ultimativ auffordern lassen, die Gebühren einzuzahlen. 500 überwiesen, beim Rest ist der Status noch ungeklärt. Bereits Ende Juli kam es zu einer Panne, als 500 Studenten, die schon eingezahlt hatten, der Rauswurf angedroht wurde. Zum Boykott-Stichtag im Frühsommer hatten 6.000 der 38.000 Studierenden die Gebühr auf ein Treuhandkonto der Boykotteure überwiesen, 12.000 stellten einen Antrag auf Befreiung und 5.000 bezahlten gar nicht. An der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) droht demnächst sogar mehr als der Hälfte der Studierenden das Aus, weil sie die Gebühren verweigert haben.
Auwetter-Kurz ist unter den Studenten äußerst unbeliebt. Die als provinziell geltende Schwäbin stellte Strafantrag gegen Studierende, die bei ihrer Amtseinführung lautstark protestiert hatten. Den dort skandierten Beinamen „Raketen-Moni“ trägt die gute Freundin von Bundesbildungsministerin Schavan, weil sie vorher in der Rüstungsforschung tätig war. Mit einem Maulkorberlass versuchte sie, Professoren zu zwingen, öffentliche Äußerungen vorher von ihrem Pressereferenten zensieren zu lassen. Auwetter-Kurz ließ den zwangsexmatrikulierten Studenten mitteilen, dass diese sich erst zum Sommersemester 2008 wieder immatrikulieren könnten, da die Anmeldefristen für das Wintersemester 2007/08 bereits abgelaufen seien. Darin liegt das größte Problem für die Zwangsexmatrikulierten, da sie zumindest gehofft hatten, nach verspäteter Einzahlung ihr Studium fortsetzen zu können.
Der Uni-AStA empfiehlt ihnen nun, neben einem Widerspruch bei der Universität auch einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht einzulegen. Denn, so der AStA, sollte der Widerspruch erst im Wintersemester abgelehnt werden, könnten Rück- und Nachzahlungen für BAföG und Sozialversicherung fällig werden, da der Hochschulausschluss dann rückwirkend gelte. Außerdem drohten erhebliche Nachteile im Studium wegen nicht eingehaltener Fristen. Die betroffenen Studierenden sollten unbedingt die Rechstberatung des AStA aufsuchen. Die Studentenvertretung führe außerdem Musterprozesse, um die Befreiungstatbestände großzügiger auszulegen.
Der Uni-AStA hatte den Gebührenboykott allerdings nie unterstützt. Er forderte die Studierenden nur auf, sich von den Gebühren befreien zu lassen. Der AStA wird von einer Koalition aus rechten Jusos, Wirtschaftswissenschaftlern, Medizinern und Juristen getragen. Das studentische Boykottbündnis hingegen zeichnete sich durch hohes Engagement seiner Mitglieder aus. Allerdings werden zur Zeit zerbrechliche Illusionen geschürt, der Boykott würde im nächsten Semester in jedem Fall erfolgreich sein. Dies ist auf die Dominanz in Hamburg berüchtigter Sektierergruppen zurückzuführen. Zwar konnten sie auf dem Campus eine große Anzahl von Studenten und eine vergleichsweise hohe Beteiligung am Boykott erreichen, doch drang das Thema wenig in die Öffentlichkeit, da das studentische Protestpotenzial auf der Straße nicht ausgereizt wurde. Dieses Missverhältnis durchzog die Boykottbewegung bundesweit.
Nicht nur aktionsorientierte, auch parteigebundene Hochschulgruppen sprechen sich in der Regel nur lose über bundesweite Aktivitäten ab. Überregionale Gremien und Bündnisse wechseln personell und in ihrer politischen Ausrichtung von Semester zu Semester. Meist bleibt es bei taktischen Absprachen auf Zeit. Der Niedergang der linken Studentenverbände Ende der 80er hat auch bei deren Konkurrenten und Gegnern die Notwendigkeit zu planerischem Vorgehen schwinden lassen. Dennoch besteht ein gewaltiges Protestpotenzial an Hochschulen, wie mehrere spontane Erhebungen gegen Studiengebühren im letzten Jahrzehnt eindrucksvoll belegten. Die festzustellende Organisationsfeindlichkeit der Studentenschaft speist sich vor allem aus ihrer sozialen Zusammensetzung. Nirgendwo sind angehende Akademiker so kleinbürgerlich wie in Deutschland: die BRD hat unter allen Industriestaaten den geringsten Anteil von Studenten, die aus Arbeiterfamilien stammen. 1000 Euro Studiengebühren im Jahr verschärfen dieses Problem.
Der kommunistischen Bewegung fehlt eine Diskussion darüber, wie mit einer Intelligenz umzugehen ist, die nicht nur per klassenmäßiger Definition, sonderen auch durch ihre Herkunft und ihre individualistische Neigung zutiefst bürgerlich ist. Dass die Arbeiterbewegung Intellektuelle braucht, zeigen die Gewerkschaften jedes Semester, wenn sie ihre Kader, von der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) über Bundesmittel finanziert, zum Studieren schicken. Auf Bezirksebene sitzen häufig studierte Sekretäre, in der Zentrale tragen sie meist einen Doktortitel. Dazu gehört allerdings auch ein SPD-Parteibuch.
Lenin begründete die Existenzberechtigung der kommunistischen Bewegung damit, dass in ihr sozialistische Intellektuelle und klassenbewusste Arbeiter eine Einheit in Theorie und Praxis schmieden müssen, um den revolutionären Kampf zu führen. Die AMS kann zu dieser zentralen Frage Anstöße geben, sie aber nicht im Alleingang lösen – und wenn Studenten im Kampf um freie Bildung ihre Ausbildungsstätte verlieren, geht das alle Kommunisten etwas an.